
Beim Freundschaftsspiel zwischen Deutschland und Österreich in Wien stand Michael Gregoritsch in der 17. Minute nach einem butterweichen Chipball von Stefan Posch plötzlich alleine vor Kevin Trapp. Er hatte Zeit, viel Zeit, die deutschen Innenverteidiger weit hinter ihm, blickte hoch zu Kevin Trapp, der stehenblieb—und schob den Ball direkt in die Arme des Keepers. Ein Abschluss, der einem Spieler, der gefragt nach seiner größten Stärke einst seinen „brutalen linken Schlegel“ nannte, kaum würdig ist. Zugegeben, den Ball einfach nur aufs Tor zu knallen, wäre vielleicht nicht die beste Option gewesen. Und auch wenn er hier für die österreichische Nationalmannschaft spielt und nicht für den SC Freiburg, auch wenn es ein Freundschaftsspiel ist und nicht die Bundesliga, in der es im Moment so gar nicht für den Stürmer läuft: Die Szene wirkte wie ein Sinnbild für die Karriere von Michael Gregoritsch. Immer wieder versuchte er es, immer wieder blieb er hängen.
Ja, Formschwankungen kennt Gregoritsch nur allzu gut. Der Stürmer galt einst als riesiges Talent, mit damals zarten 15 Jahren und 11 Monaten ist er noch immer der jüngste Spieler, der in diesem Jahrtausend in der österreichischen Bundesliga ein Tor erzielte. Das weckte allerlei Interesse, zum Beispiel von der TSG Hoffenheim, die ihn schließlich 2011 im Alter von 17 Jahren verpflichtete. Seitdem wanderte Gregoritsch von Station zu Station: Die Sinsheimer verliehen ihren Neuzugang zunächst zurück nach Österreich, dann zum FC St. Pauli und schließlich nach Bochum. Von der Castroper Straße ging es dann 2015 ins Volksparkstadion zum HSV. Jedoch: Nirgendwo wurde Gregoritsch glücklich. Bis er zwei Jahre nach seinem HSV-Wechsel den Schritt nach Augsburg machte: In seiner ersten Spielzeit für die Fuggerstädter traf er satte 13 Mal, bis heute sein Bestwert. Nach dieser Saison allerdings schaffte der Österreicher es vorerst nicht, an dieses Niveau anzuknüpfen.
Bis vor zwei Jahren. Mit der Empfehlung von neun Bundesligatreffern für den FC Augsburg ging es im Sommer 2022 per Tauschgeschäft nach Freiburg, der Kampf um den Abstieg wich dem um die Champions-League-Plätze. Was dem Österreicher offenbar gut tat: Die vergangenen beiden Saisons gehören zu den besten in Michael Gregoritschs Karriere. In Bundesliga, DFB-Pokal und Europa League scorte er ganze 20 Mal für seinen neuen Verein. Das Versprechen, das Gregoritsch mit jungen Jahren gegeben hatte, schien er nun endlich einzulösen. Und in der Bundesliga tatsächlich angekommen zu sein.
Wieder im Gregoritsch-Modus?
Aber es ist eben Michael Gregoritsch. Weshalb es scheint, als stecke er inzwischen wieder in einer jener Phasen, die lange Zeit eine wirklich erfolgreiche Karriere verhindert hatten: Er steht in dieser Spielzeit bei 13 Einsätzen für die Breisgauer, davon nur ein einziger über 90 Minuten, einen Treffer erzielt oder vorbereitet hat er bisher nicht. Auf den ersten Blick wirkt das wie eine Rückkehr in den altbekannten Gregoritsch-Modus: Das Potenzial ist vorhanden, abrufen kann er es aber nur selten. Oder?
Bei genauerer Betrachtung werden aber noch andere Gründe für dieses Formtief klar. Zunächst einmal schafft es der SC bislang insgesamt nicht, an die starke Form der vergangenen Spielzeit anzuknüpfen. Gregoritsch selbst hatte derweil zuletzt eine Wadenverletzung ausgebremst, seit seiner Rückkehr Ende Oktober kam er noch nicht wieder in den Tritt. Außerdem lässt Christian Streich derzeit häufig mit nur einer Spitze spielen, im Gegensatz zur vergangenen Saison, damals liefen Gregoritsch und Lucas Höler oft gemeinsam auf. Das Fußballspielen hat Gregoritsch nicht verlernt. Die Nationalmannschaft ist dieser Tage seine Wohlfühloase: Seit September hat er in vier Spielen für die ÖFB-Auswahl drei Scorer gesammelt.
Einer davon im Freundschaftsspiel am vergangenen Dienstag, wo er trotz Fehlschuss gegen Kevin Trapp zu überzeugen wusste. Der Mann mit dem „brutalen linken Schlegel“ kam in Wien überraschend feinklingig daher. Und glänzte nicht etwa mit Gewaltschüssen, sondern mit Pässen per Hacke und klugen Ablagen mit dem Kopf. „Gregerl“ zeigte einmal mehr, dass er nicht nur ein Vollstrecker ist: Seine Übersicht und sein Spielverständnis machten beide Tore der österreichischen Mannschaft erst möglich. Beim ersten legte er einen Ball auf Höhe des Mittelkreises direkt mit dem Kopf ab und beschleunigte damit das Spiel, beim zweiten Treffer setzte er sich gegen Antonio Rüdiger durch und spielte einen Steckpass auf den durchstartenden Christoph Baumgartner. Der Freiburger organisierte und belebte das Offensivspiel der Österreicher. Der Standard titelte danach nicht umsonst: „Gregoritsch ist ein Zauberer“.
Apropos Wohlfühloase: In Freiburg lässt es sich bekanntlich nicht nur ganz geruhsam leben, sondern auch Fußballspielen. Das ist vermutlich Gregoritschs größter Trumpf in einer kleinen Formkrise wie dieser: Im Breisgau wird niemand den sofortigen Verkauf des zahlenmäßig zweitbesten Angreifers der vergangen Saison fordern, andere als es womöglich beim HSV der Fall gewesen wäre. Michael Gregoritsch ist jetzt nicht nur in der Bundesliga angekommen, sondern auch in einem Umfeld, dass ihm Formtiefs verzeiht. Zumal vieles dafür spricht, dass der Österreicher bald wieder aus ebenjenem herausfindet. Wie gegen Deutschland zu sehen war, besitzt Gregoritsch Qualitäten, die den Freiburgern gerade in einer sportlich schwierigen Phase helfen könnten. Die Einsatzzeiten dürften für ihn in den nächsten Wochen wieder mehr werden. Und dann darf die Bundesliga ihn wieder Wochenende für Wochenende bewundern: „Gregerl“, den Zauberer und seinen linken Schlegel.
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