Stern des Nordens - Der wichtigste Spieler von Hannover 11FREUNDE

Frher war alles einfacher. Da brauchte man der Presseabteilung von Hannover 96 nur eine freundliche EMail schreiben, und um einen Interviewtermin mit Sergio Pinto zu bitten. Nach ein paar Tagen hatte man den 96-Profi auch schon am Telefon. Frher, das war vor knapp einem Jahr und da konnte Hannovers Presseabteilung froh sein, wenn sich auerhalb

Früher war alles ein­fa­cher. Da brauchte man der Pres­se­ab­tei­lung von Han­nover 96 nur eine freund­liche E‑Mail schreiben, und um einen Inter­view­termin mit Sergio Pinto zu bitten. Nach ein paar Tagen hatte man den 96-Profi auch schon am Telefon. Früher, das war vor knapp einem Jahr und da konnte Han­no­vers Pres­se­ab­tei­lung froh sein, wenn sich außer­halb von Nie­der­sachsen über­haupt jemand für die Spieler aus der Lan­des­haupt­stadt inter­es­sierte. Heute ist alles schwie­riger. Da benö­tigt die Pres­se­ab­tei­lung einige Tage, bis sie sich über­haupt zurück­meldet („So viele Anfragen!“) und muss dann auch noch zer­knirscht erklären, dass Sergio Pinto nicht für ein Gespräch zur Ver­fü­gung stünde. Noch nie war 30-jäh­rige Por­tu­giese so gefragt wie heute. Und noch nie so wichtig.

Wer möchte, der könnte Pinto, den 1,76 Meter großen Mit­tel­feld­spieler mit dem mar­kanten Ober­lip­pen­bärt­chen, mit einem guten Wein ver­glei­chen: Jedes Jahr wird er ein biss­chen besser. Pinto ist einer der dienst­äl­testen Profis der Liga, schon 1999 gab er sein Debüt, damals noch für Schalke 04. Den Klub, dem er seine Aus­bil­dung zum Fuß­baller ver­dankt. 1995, 14-jährig, wech­selte Pinto vom TuS Hal­tern in die Jugend von Schalke 04. Zwei Jahre zuvor war er mit seiner Familie aus Por­tugal nach Deutsch­land gezogen, schon in seiner Heimat hatte er beim FC Porto eine ganz vor­züg­liche Rasen­schule genießen dürfen. 2004 nahm Pinto, dem in Gel­sen­kir­chen nie der Durch­bruch gelungen war, ein Angebot von Ale­mannia Aachen an. Die 2. Bun­des­liga: Abstieg und Chance zugleich. Bei der Ale­mannia wurde Pinto Stamm­spieler, schaffte 2006 den Auf­stieg in die 1. Liga, 2005 erzielte er gegen den SC Pader­born ein so wun­der­bares Tor, dass die Zuschauer der Sport­schau“ seinen Treffer zum Tor des Monats“ kürten. Der Durch­bruch, so sah er aus.

Platz acht, Platz elf – so weit, so Mit­telmaß

2007, aus dem schlud­rigen Schalker Talent war ein gif­tiger Aachener Mit­tel­feld­spieler geworden, klin­gelte Han­nover 96 bei Pinto durch. Der dachte an den nächsten Kar­rie­re­schritt und schlug ein. Der Wechsel nach Nie­der­sachsen machte Pinto zwar nicht arm, aber auch nicht sexy. 2007 ist 96 so etwas wie der VfL Bochum in den neun­ziger Jahren: Die graue Maus der Liga. 2007/08 wird Han­nover Achter, ein Jahr später landet die Mann­schaft auf Platz elf. Pinto macht 43 Spiele, neun Tore und bekommt 13 gelben Karten. So weit, so Mit­telmaß.

2009, das Jahr, das Han­no­vers Fuß­ball auf tra­gi­sche Weise ver­än­dert. Robert Enke, Fix­punkt der Mann­schaft, der beste, der berühm­teste, der belieb­teste Fuß­baller der Stadt, flüchtet sich vor der schweren Depres­sion in den Tod. Als die trau­rige Nach­richt von Enkes Tod die Runde macht, ist Sergio Pinto einer der ersten, der vor den Sta­di­on­toren des Nie­der­sachsen-Sta­dions erscheint, wo schon hun­derte Kerzen brennen. Er sucht Trost und eine Ant­wort auf die Frage, warum man dem Mit­spieler nicht hatte helfen können. Seit zehn Jahren ist Pinto Pro­fi­fuß­baller. Hat dut­zende Spieler kommen und gehen und siegen und ver­lieren sehen. Aber das hier ist eine neue Dimen­sion, die auch ein erfah­rener Fuß­baller wie er nicht begreifen kann. Das erste Spiel nach dem Selbst­mord ihres Kapi­täns ver­lieren Pinto und Kol­legen mit 0:2 gegen Schalke 04. Nach dem Schluss­pfiff applau­dieren die Schalker Zuschauer den Ver­lie­rern aus Han­nover. Als der kicker“ Pinto im März 2011 nach dem Spiel fragt an wel­ches Sie sich über­haupt nicht gerne erin­nern“, ant­wortet der: Unser 0:2 auf Schalke. Ich habe mehr mit den Tränen als mit dem Gegner gekämpft.“

In diesen trüben letzten Wochen des Jahres befindet sich Han­nover 96 in einem Schock­zu­stand, der den Klub fast in die 2. Bun­des­liga beför­dert. Nur mit Mühe und Not und einem neuen Trainer ver­hin­dert 96 schließ­lich doch noch den Abstieg und beendet die Saison auf Platz 15. Ob in diesen Monaten ein neues Wir-Gefühl“ ent­steht, die Mann­schaft durch den tra­gi­schen Vor­fall zusam­men­wächst wie einst die Bayern nach der 1:2‑Finalniederlage 1999 gegen Man­chester United? Das hat bis heute nie­mand sagen können. Viel­leicht gehört sich diese Frage auch gar nicht.

Ein Jahr nach Enkes Tod ist Han­nover die Über­ra­schung der Liga

Fest steht nur: In der Saison 2010/2011 ist alles anders. Unter dem neuen Trainer Mirko Slomka spielt Han­nover 96 plötz­lich rausch­haften Offen­siv­fuß­ball, die über­fall­ar­tige Kon­ter­taktik spült die Mit­tel­maßler aus Nie­der­sachsen zeit­weise gar auf den dritten Tabel­len­platz und in die Nähe der Cham­pions League. Ein Jahr nach Enkes Tod ist Slomkas Han­nover die größte Über­ra­schung der Bun­des­liga. Zwei bis dahin völlig unbe­kannte Stürmer namens Didier Ya Konan und Mohammed Abdel­laoue sind gemeinsam an 32 von ins­ge­samt 49 Han­nover-Toren betei­ligt, ein bis dahin relativ unbe­kannter Tor­wart namens Ron-Robert Zieler löst in der Rück­runde Flo­rian From­lo­witz als Stamm­kraft ab und spielt sich in die Notiz­bü­cher von DFB-Tor­wart­trainer Andreas Köpke; und ein bis dahin zwar bekannter, aber eher belä­chelter Trainer namens Mirko Slomka wird bei der kicker“-Wahl zum Trainer des Jahres“ Zweiter hinter Dort­munds Meis­ter­ma­cher Jürgen Klopp. Han­nover 96 landet auf Platz vier der Abschluss­ta­belle. Eine unglaub­liche Saison.

Der größte Gewinner dieser atem­be­rau­benden Spiel­zeit aber heißt: Sergio Pinto. Der deut­sche Fuß­ball kennt den quir­ligen Por­tu­giesen als bis­sigen Ket­ten­hund, häu­figer im Zwie­ge­spräch mit dem Gegen­spieler als mit dem Fuß am Ball. Ein gif­tiges Ekel­paket mit dem Drang zum Arsch­loch-Image. Irgendwas zwi­schen Vatmir Vata und Mike Franz. 2010/11 ver­än­dert auch das Bild von Sergio Pinto. Zwar tritt er gleich am dritten Spieltag Michael Bal­lack das Schien­bein­köpf­chen durch (und kas­siert dafür im Rück­spiel ein paar üble Revan­che­grät­schen des ehe­ma­ligen Natio­nal­mann­schafts­ka­pi­täns), aber seine Prä­senz auf dem Platz ist eine andere geworden. Er tritt nicht, er gewinnt Zwei­kämpfe. Er ver­liert die Energie nicht bei sinn­losen Nase-gegen-Nase-Dis­kus­sionen, er rennt so viele Meter wie kein anderer Han­no­ve­raner. Vor allem aber strahlt Pinto das aus, was der neue Wun­der­doktor Slomka den 96ern ein­ge­impft hat: unbe­grenztes Selbst­ver­trauen. In einer vor Ehr­geiz glü­henden Mann­schaft ist er der Fix­stern des neuen Glau­bens an sich selbst. Keiner trägt die Brust so breit vor sich her, wie der schmale Mit­tel­feld­or­ga­ni­sator.

Wir spielen nächstes Jahr euro­pä­isch!“

Jetzt, nach drei Spiel­tagen der neuen Saison, ist Han­nover 96 schon wieder Zweiter der Tabelle. Weil Slomkas Mann­schaft das Hin­spiel gegen den FC Sevilla mit 2:1 gewonnen hat, stehen die Chancen der Nie­der­sachsen ziem­lich gut, heute Abend im Rück­spiel gegen die Spa­nier den Einzug in die Grup­pen­phase der Europa League zu schaffen. Für Han­nover 96, das 1992 den DFB-Pkal gewann und in der ersten Runde des UEFA-Cups Werder Bremen zuge­lost bekam (und verlor), wäre das ein his­to­ri­scher Erfolg. Und ein über­ra­schender.

Nicht für Sergio Pinto. Der spulte im Hin­spiel so sou­verän sein Pro­gramm in der Defen­siv­zen­trale ab, dass sich Sevillas Super­stars um Piotr Tro­chowski, Fre­deric Kanoute und Fer­nando Navarro die Zähne an dem Deut­schen aus­bissen. Und ver­loren. Kein Zweifel: Wir spielen im nächsten Jahr euro­pä­isch“, hat Sergio Pinto gesagt. Das war im April 2011. Kein Zweifel, an Selbst­ver­trauen man­gelt es diesem Fuß­baller und nun wirk­lich nicht.

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